Das „Date" mit dem MdB
Nach einiger Zeit des
Wartens, kam hier also die heiß ersehnte Nachricht.
"Herzlichen
Glückwunsch, du gehörst zu den wenigen Auserwählten, denen das
einzigartige Privileg zukommt noch länger Warten zu dürfen!"
Einerseits bringt diese
Botschaft selbstverständlich Erleichterung mit sich.
Andererseits jedoch,
geht es jetzt erst richtig los. Bis Mitte Februar muss sich der
jeweilige Abgeordnete nun für einen der übrig gebliebenen
Teilnehmer entschieden haben. Ob er euch zu einem Gespräch einlädt
oder nicht, das darf er völlig frei entscheiden.
Bei mir brach ab diesem
Moment eine Zeit heran, in der ich jeden und alles dafür
verantwortlich machte, dass ich das Stipendium auf gar keinen Fall
bekommen würde.
Wäre ich nämlich
tatsächlich enttäuscht worden, so hätte ich wenigstens eine drei
Seiten lange Liste mit „Warum es nicht meine Schuld war-Ideen“
parat gehabt. ( 1.Ich bin nicht mit meinem MdB verwandt. 2.Eine der
anderen Kandidatinnen könnte ihr selbstgebackene Kekse zugeschickt
haben. 3. Auf meinem Bild sieht meine Nase bedrohlich groß aus.
4.Vermutlich sind beim Abschicken plötzlich alle Kommas verschwunden. 5. Sie könnte meine
Bewerbung auch einfach verloren haben und um der Peinlichkeit zu
entgehen dies zugeben zu müssen, nimmt sie einfach jemand
anderen....)
Doch nach einer kleinen
Unendlichkeit – ungefähr 2-3 Monate später – erhielt ich den
lang ersehnten Anruf von meiner Abgeordneten, die sich mit mir in
ihrem Büro verabreden wollte.
Bei solch einem
besonderen Date gehen einem natürlich tausende Fragen durch den
Kopf.
„Was soll ich
anziehen?“ (Nichts zu elegantes oder aufgesetztes! Nehmt etwas,
worin ihr euch wohl fühlt!) „Was, wenn sie mich nicht so mag wie
ich bin?“ „Was soll ich sagen, um einen guten Eindruck zu
machen?“
Tja, das Ganze hat mich
durchaus ein Wenig an Speeddating erinnert, nach mir kam sofort die
Nächste zum Gespräch. Meine 1.000.000 klugen zurechtgelegten
Antworten, mit denen ich eigentlich hatte punkten wollen, waren
jedoch vergessen, als ich in einen kleinen Raum ohne viele Fenster
geführt wurde, in dem ich mich schon vom ersten Moment an nicht wohl
fühlte.
Mein MdB war nett,
höflich und trotzdem sachlich und konzentriert. Nachdem ich im
Internet davon gelesen hatte wie manche erneut getestet und abgefragt
wurden (als hätte das Auswahlgespräch noch nicht den richtigen
„Kick“ gegeben), fiel mein Gespräch seltsam unspektakulär aus.
Im Prinzip begann sie damit, mir das Programm noch einmal in allen
Einzelheiten zu erklären.
Da ich schon informiert
war, doch in irgendeiner Weise Interesse zeigen wollte, habe ich
völlig spontan den Entschluss gefasst mich zum Vollhorst zu machen
und habe aller drei Minuten ein „Oh! Das ist ja wunderbar! Wie
toll!“ eingeworfen. Vermutlich dachte sie ich hätte eine moderne
Art Tourette-Syndrom.
Zwischendurch kamen
einige von diesen typischen 0815-Fragen, die jeder Mensch gleich
beantwortet.
„Sind Sie anfällig für Heimweh?“ „Nein! Ich hasse meine liebevolle Familie, ich
hasse meine tollen Freunde!“
„Warum möchten Sie ausgerechnet nach Amerika?“ „Jede Menge dicke Menschen, das
stärkt das Selbstwertgefühl! Hussa!“
„Könnten Sie sich
vorstellen in einer Familie mit vielen Kindern zu leben?“ „Klar,
dann verhungert man in harten Zeiten nicht so schnell.“
Dafür dass meine Hände
unter dem Tisch zitterten, als müsste ich jeden Moment die deutsche
Nationalhymne rückwärts singen, waren die Aufgaben bedeutend
leicht. Und nach zwanzig Minuten hatte ich es hinter mir.
Es folgte die längste
Woche meines Lebens. Doch in einem Moment, in dem ich überhaupt
nicht daran dachte, klingelte auf einmal das Telefon.
Völlig monoton
verkündete meine Abgeordnete mir: „Annabell, ich habe große
Neuigkeiten, Sie fliegen nach Amerika!“ Und obwohl sie klang als
hätte sie mir soeben verkündet, sie wolle sich gerne einmal unseren
Rasenkantenschneider ausleihen, brach ich in Tränen aus und während
sie mir erklärte, dass ich nun in Kürze Post von meiner
Organisation bekommen würde, kam von mir ein gefasstes und seriöses:
„Ahhhhh..*schluchz*...Danke...*schluchz*...Omg Ich kanns nicht
fassen..Das ist alles so wahnsinn..*schluchz* Wow...vielen vielen
vielen Dank..*schluchz* Wirklich..*schluchz*.. Danke... *schluchz*“
Danach legte sie auf.
Um es also einmal kurz
zu fassen, wir führten ein sehr langes tiefgründiges Gespräch über
den Sinn des Lebens.
Ungefähr eine Woche
hat es gedauert, bis ich anfing zu realisieren, dass das alles kein
Traum war. Ich fliege also in die
USA. Anni becomes an exchange student. Anni goes
abroad.
Okay, so dramatisch das
auch alles klingt, ich hab's bis jetzt noch nicht so richtig
gecheckt. Das wird definitiv noch einige Zeit dauern. Hier in Deutschland kommt einem all dies so
schrecklich unwirklich vor. Doch in sechs Monaten werde ich meine
Familie und meine Freunde verlassen und für ein Jahr ein völlig anderes
Leben führen.